Das Geschäft der Beratung: Profitgier oder Professionalität?!

Die Geschichte der Beratung … von weit vor Gestern bis in unsere Gegenwart.

Geschichte ist ein spannendes Fach und professionelle Beratung plagt sich nun ja auch nicht gerade mit Langeweile. So zumindest mein Dafürhalten.

Dieser Blog ist der verschriftlichte und verkürzte Vortrag, den ich vor circa 100 Beratern halten durfte.

Und so schlägt er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Glaube und Wissen.

Aber zur Sache oder wie der Lateiner sagt: In medias res.

I
Am Anfang war das Licht – so steht es geschrieben. Auch bei den Astrophysikern. Doch da ich heute vor Beratern als Beratungswissenschaftler (M.A.) spreche, setze ich den rhetorischen Start meiner Rede an eine andere Zeitstelle und spule ein wenig vor: Am Anfang war der Rat! Denn sobald Sprache im Spiel war, konnte die wichtigste Frage der Menschheit, die zugleich wesentliches Element und Motor für den Hominisationsprozess war und ist, gestellt werden: Was tun? Der Mensch verfügt über die Rückschau als narrative Retrospektive seines Lebens und über seine Vorschau in Form von partizipatorischen Prognosen, die eintreffen können oder auch nicht. Er ist jedoch nicht, wie Nietzsche schreibt, gleich einer Ziege an den Pflock des Augenblicks gebunden. Der Rat ist demnach unweigerlich mit der Tat verbunden und kann nicht allein betrachtet werden, soviel ist schon im etymologischen Wörterbuch zu lesen. Übrigens selbst dann nicht, wenn die Tat ausbleibt, da sie als Folge des Rates immer mitgedacht wird. Rath, im Grimmschen Wörterbuch mit H am Ende geschrieben, steht für: Schutz, Hilfe, Fürsorge, Versorge(Versorgung) und Förderung durch das Geschlechtsoberhaupt. Seinen Anweisungen musste in der germanischen Gemeinde jeder Mann/Frau/Kind Folge leisten und hatte zugleich mit Strafe bei Verstoß zu rechnen. Der Ratgeber und zugleich Geschlechtsoberhaupt war im Patriachat oft ein weißhaariger, alter Mann. Er hatte das Handwerk der Beratung nicht gelernt. Vielmehr stand seine beratende Autorität außer Frage, da seine weißen Haare (daher der Begriff der Weisheit) Zeugnis über seine Überlebenskunst gaben.
Er war der Älteste. Er hatte Hunger und Not, Kriege und Krankheiten überlebt. Er wusste, was zu tun ist.
II
Doch wer von Männern spricht, der darf die Frauen nicht vergessen, die hier ja auch im Publikum primär vertreten sind. Frauen spielten beispielsweise im Orakel von Delphi eine wesentliche Rolle bei der Suche nach Rat. Die sogenannten weissagenden Sybillen waren allerdings randvoll mit diversen Drogen und tanzten ihre Antwort, mehr einem epileptischen Anfall gleichend und stießen dabei, sich selbst krümmend, kryptische Antworten heraus. Nicht Klartext, sondern Rätsel waren des Rates Antwort. Für diese Rätsel gab es wiederum entsprechendes Fachpersonal und zwar Priester. Der oder die Priester fungierten als Übersetzer des Überirdischen ins Irdische. Der göttliche Rat konnte erst durch das Medium des Orakels in irdische Handlungsanweisungen übersetzt und umgesetzt werden. Tacitus verurteilte diese Praxis und nannte sie eine gewinnsüchtige und blutsaugende Beredsamkeit, die nur ein Ziel hat: Uns an die Geißeln des Schicksals zu binden und zu Sklaven zu machen. Das Risiko und die damit verbundene Gefahr lag in der „falschen Deutung“, des von den Sybillen, als Antwort gedachten und „aufgegebenen“ Rätsels. Und so verwundert es wenig, dass bei den Skythen diejenigen, die eine falsche und damit fatale Übersetzungsleistung getätigt hatten, an einen Ochsenkarren gebunden wurden, der seinerseits mit Reisigbündeln gespickt und angezündet wurde. Der Job des übersetzenden Priesters war mithin ein durchaus gefährlicher Job. Seine beraterische Ausbildung bestand wohl eher darin, zu lernen, wie man eine realistische Situationsbeurteilung in Kombination mit den wahrscheinlichsten Wünschen und waghalsigsten Wirklichkeitskontrukten des Orakelbefragers in Einklang bringt.
III
Die große beraterische Wende kam erst durch die Aufklärungsbewegung der Sophisten des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christi zustande. Ihre Orakelkritik verdrängte schließlich die Sybillen und an ihre Stelle traten die Sophisten; mit ihrer Redelehre, der Rhetorik und den Beraterschulen, der sogenannten dicendi magister. Mit ihr war eine neue Redegattung geboren: die Beratungsrede. Diese Beratungsrede hielt bald Einzug in den Volksversammlungen und sollte laut Aristoteles im besten Falle politischen Zwang ersetzen und zum guten Handeln anleiten. Die Beratungsrede versteht sich daher als eine zweckgerichtete Kommunikation des Kandidaten.
IV
In der stratifizierten Ordnung, sprich in der Ständeordnung, da war die Welt noch EINs. Es war klar, die Welt ist eine Scheibe; es gibt Oben, den Himmel, das Reich Gottes und es gibt Unten, die Hölle, das Reich des Teufels. Und je nachdem wie sich auf Erden benommen wird, wird nach dem Tode eine Reise in den Himmel oder die Hölle angetreten. Kaiser & Klerus erklärten die Welt und was in ihr zu tun war. Einem Monarchen liegt natürlich nichts an der Idee demokratischer Entscheidungsprozesse a la Aristoteles. Öffentliche Debatten waren einfach absurd und so entstand eine neue Form der Beratungsrede, eine direkte, zwischen dem Fürsten und dem beratenden Consultant selbst. Diese intime Beziehung darf durchaus als historische Errungenschaft betrachtet werden, denn sie etablierte gleichzeitig eine neue Klasse intellektueller Berater. Der Clou dieser Beratungsrede ist die zentrale Fremdreferenz für den Fürsten. Ihm wurde – in einer höflichen Form – Zugeraten und Abgeraten, sodass der Fürst sein Gesicht waren konnte, denn letztendlich war er der Entscheidungsträger selbst und so musste es nach außen immer ersichtlich sein. Das einzige Problem dieser Beratungsform war, ähnlich wie im Abschnitt II. bei den Priestern des Orakels, der chronische Verdacht der Vorteilsname des Ratgebers selbst. Die Lösung war ein zwischengeschaltetes Sicherheitsmedium namens Narr. Der Hofnarr, mit seiner gelb-grünen Mütze, der im wahrsten Sinne des Wortes Narrenfreiheit hatte (daher der Begriff), schlug nicht nur lustige Purzelbäume und spielte schlecht auf seiner Schalmei. Nein – sein Job war es, auf die irrsinnigen und irrwitzigen Empfehlungen und den damit verbundenen Gewinn des ruchlosen Ratgebers aufmerksam zu machen, der sich mit aller List und Tücke einen Vorteil verschaffen wollte.
V
Spätestens im 19. Jahrhundert zerfällt die Ständeordnung und wird in autonome Funktionssysteme zerlegt … in Funktionssystemen wie: Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Religion, Kunst, Erziehung. Die soziale Adresse ermöglicht jetzt Freiheitsgrade für eine absolut individuelle Lebensgestaltung, die bis dato nicht denkbar waren. Für viele junge Intellektuelle, wie beispielsweise Hölderlin, bricht eine neue Epoche und mit ihr ein Schwellenbewusstsein an. In der Ständeordnung hatte jeder seinen ihm zugedachten und angedachten Platz, einen guten oder schlechten, je nach Geburt. Doch diese Ordnung ist in einer funktional differenzierten Gesellschaftsordnung nicht mehr möglich und genau deshalb kommt eine große Klage über den Sinn- und Orientierungsverlust auf. Die Selbstverständlichkeitsketten des Lebenslaufes sind für immer durchbrochen.
VI
Daher darf man Beratung im 21. Jahrhundert auch als eine logische Reaktion auf die Pluralisierung von Lebensformen und Lebensentwürfen verstehen. Gerade Psycho-Soziale-Beratungen bieten offenbar eine zeitgemäße Form der Be- und Verarbeitung von eben diesen Modernisierungsprozessen und der damit verbundenen Kontingenz (contingentia = Möglichkeit) an. Beratung versteht sich jetzt und für Jedermann/Frau als Ordnungs- und Sortierleistung im Leben selbst. Die Möglichkeiten, sprich der Spielraum einer individuellen Lebensgestaltung, war zu keiner Zeit mannigfaltiger als heute. Die Kaskade der Möglichkeiten eines Lebenslaufs lässt sich nicht mehr überblicken. Ganz nach dem Motto: Alles ist möglich – nichts ist nötig – privat und beruflich. Dem Meer an Möglichkeiten steht das Monstrum der Machbarkeiten gegenüber. An der Bewältigung dieser Lebensaufgaben kann man scheitern … muss man aber nicht. Und genau hier kommt die Dienstleistung eines professionellen Beraters (Beraterin) ins Spiel. Denn mit einer guten Beratung bist du einfach besser beraten! Autor: Marco Wegner / M.A. Counselling (HS)

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert